Adrian Goiginger verfilmte die Geschichte seines Urgroßvaters im Zweiten Weltkrieg als berührendes Innerlichkeitsdrama jenseits des Politischen
Der Salzburger Filmemacher Adrian Goiginger bleibt in der Familie. Sein Debüt „Die beste aller Welten“ wurde von seiner eigenen Kindheit inspiriert; nun erzählt der Regisseur in seinem dritten Drama die berührende Geschichte seines Urgroßvaters Franz Streitberger.
Als Sohn armer Pinzgauer Bergbauern wurde Streitberger in den 1920er-Jahren als Bub einem Bauern übergeben, auf dessen Hof er aufwuchs. Die Trennung von den Eltern, die das Kind aus finanzieller Not in die Knechtschaft zwangen, hinterlässt ein tiefes Trauma und macht den jungen Mann zum wortkargen Außenseiter.
Im Jahr 1937 wird Streitberger vom Bundesheer rekrutiert und gehört nach dem „Anschluss“ Österreichs der Deutschen Wehrmacht an. Sein Tross wird Richtung Frankreich geschickt. Auf dem Weg an die Westfront findet er einen verletzten Fuchswelpen, den er liebevoll gesund pflegt und heimlich im Gepäck mitführt. Die innige Beziehung zu dem Tier hilft Streitberger, seine innere Isolation zu überwinden: Der Fuchs wird so zu einer Parabel über die Liebe.
Eindrucksvoll authentisch inszeniert Goiginger die einfachen, bäuerlichen Verhältnisse, in denen die Familie lebt. Sein Umgang mit Schauspielern – allen voran dem umwerfenden Kinderdarsteller Maximilian Reinwald – ist souverän, der Klang der verschiedenen Dialekte tadellos. Simon Morzé als Franz Streitberger beherrscht – wie auch sein „Vater“ Karl Markovics – das Pinzgauerische perfekt. Gekonnt nuanciert verkörpert er die innere Zerquältheit seines Helden auf der Suche nach Nähe. Um die Intimität seiner Geschichte zu verstärken, drehte Goiginger im engen 4:3-Bildformat, das gänzlich auf die subjektive Perspektive seines Urgroßvaters zugeschnitten ist.
Alamode Film
Innige Beziehung zu einem herzigen Fuchs: Simon Morzé in „Der Fuchs“
Die Mehrzahl an Filmen, die in den letzten Jahren Schicksale aus den beiden Weltkriegen erzählten – von „Dunkirk“ bis zu „Im Westen nichts Neues“ – bemühten sich darum, möglichst eindringlich von den Gräueln des Krieges zu erzählen und ihr Publikum direkt in den Schützengraben zu stoßen.
Einen völlig anderen Weg schlägt Adrian Goiginger ein: Zwar weht auch bei ihm manchmal eine Fahne mit Hakenkreuz, aber die Opfer des Krieges sieht man praktisch nur aus Streitbergers Augenwinkeln, wenn er als Kurier auf seinem Motorrad durch die Normandie braust.
Selbstfindung
Goigingers emotionaler Fokus liegt ganz auf der heilsamen Beziehung zwischen Mensch und Tier. (Fast) alle anderen Figuren – vor allem Streitbergers Frauenbekanntschaft – bleiben weitgehend im Hintergrund.
Ähnlich wie in seiner Verfilmung von Felix Mitterers „Märzengrund“ kennt Goigingers Drama jenseits von Natur und Familie kaum ein Außen. (Nazi-)Politik wird fast gänzlich aus der Handlung evakuiert, zurück bleibt die individuelle Selbstfindung eines Einzelnen.
Wo sich Trost jenseits des Gesellschaftlichen findet, macht Goiginger klar: in der Natur. Wann immer Streitberger in Kontakt mit Natur (Fuchs, Käfer) kommt, setzt seelenvolle Geigenmusik ein.
Mit geradezu verblüffender Einfachheit kann Franz Streitberger nicht nur heimlich einen Fuchs mit sich führen, sondern auch eine zarte Verbindung mit einer Bäuerin unterhalten, mit der er Hand in Hand über die sonnige Wiese wandert. Fast fühlt sich der Zweite Weltkrieg an wie ein Spaziergang – und führt im Fall von Franz Streitberger bis hin zum Meer.
INFO: D/Ö 2022. 117 Min. Von Adrian Goiginger. Mit Simon Morzé, Karl Markovics, Pit Bukowski.
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Erstmals das Meer sehen: „Der Fuchs“ von Adrian Goiginger