Wolfgang Amadeus Mozarts „Le nozze di Figaro“ in der Regie von Barrie Kosky mit einer doppelten Susanna.
Die Aufregung im Vorfeld war groß. Wie würde wohl Regisseur Barrie Kosky, der für seine durchaus kontroversiellen Deutungen bekannt ist, Mozarts „Le nozze di Figaro“ in Szene setzen? Als hochpolitische Revolutionsoper? Als sexuell aufgeladenes Spiel der Geschlechter? Oder eine Mischung aus beidem? Die Antwort lautet: Weder, noch.
Kosky nimmt „Figaro“ – nach seinem radikal-klugen „Don Giovanni“ am Ring aus 2021 – sehr ernst und nähert sich dem Werk fast zärtlich-subtil. Doch dazu später.
Denn für eine (ungeplante) Aufregung war bei der Premiere des zweiten Teils des Mozart/Da Ponte-Zyklus hinreichend gesorgt. Wenige Stunden vor Beginn erlitt die chinesische Sopranistin Ying Fang – sie hatte mit Kosky intensiv geprobt und hätte die Susanna singen sollen – eine Stimmbandblutung. Das ist a) sehr schmerzhaft und verhindert b) jeglichen Gesang.
Zwei Susannas
Es spricht somit für ein Haus wie die Wiener Staatsoper, dass diese Neuproduktion dennoch über die Bühne gehen konnte. Ying Fang verkörperte (inklusive Lippenbewegungen) die Susanna; Maria Nazarova sang als Einspringerin aus dem Orchestergraben heraus die Partie. Das Ergebnis: Eine darstellerisch starke, mutige Susanna oben und eine stimmlich fabelhafte Susanna unter den Orchestermusikern. Beide Damen verdienen ein großes Kompliment allein für die meist sehr synchrone Interpretation und wurden vom Premierenpublikum zurecht gefeiert.
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Womit wir bei Barrie Kosky wären. Dieser und sein Leading-Team bekamen am Ende nebst viel Applaus auch ein paar unmotivierte, vor allem unberechtigte Buhrufe ab. Denn Kosky hat im sehr schönen, ästhetischen Bühnenbild von Rufus Didwiszus – es gibt weiße Wände, ein feines Boudoir mit Spiegel unter Barockbildern und zuletzt eine Schräge mit Löchern, aus der alle Liebesverirrten immer wieder herauskriechen – eine klassische Inszenierung geschaffen.
© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Viele Organigramme
Hier geht nicht um die Revolution des Bürgertums gegen den Adel (gut die zeitlosen Kostüme von Victoria Behr), sondern um präzise ausgearbeitete seelische Organigramme der handelnden Personen. Zwischen Graf und Gräfin geht nichts mehr, die Liebe ist aber noch da. Ob Figaro und Susanna trotz Hochzeit glücklich werden, ist bei Kosky sehr fraglich. Und Cherubino als Existenzialist – das funktioniert dank einer exzellenten Personenführung perfekt. Diese Produktion hat gute Chancen auf ein langes Leben im Repertoire.
© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Wenn, ja wenn alles so gut geprobt ist, wie in dieser ersten Spielserie. Denn mit Andrè Schuen steht ein juveniler Singschauspieler zur Verfügung, der als Graf Almaviva seinen sicher geführten Bariton perfekt einsetzt, der in Hanna-Elisabeth Müller ein ihm gleichwertige Gräfin findet. Patricia Nolz gelingt es in der Rolle des Cherubino, den Begriff Diversität mit Nach- und Ausdruck neu zu definieren; Peter Kellner ist ein vokal etwas kleiner, jedoch sympathischer Figaro.
Stephanie Houtzeel (Marcellina), Josh Lovell (Basilio), Andrea Giovannini (Don Curzio), Wolfgang Bankl (Antonio), Johanna Wallroth (als Barbarina) und vor allem Stefan Cerny (Bartolo) harmonieren gut. Auch dank Dirigent Philippe Jordan, der am Pult des starken Staatsopernorchesters stets die richtige Balance zwischen Lyrik und Dramatik findet. Eine tolle Leistung von Philippe Jordan!