Schweden ließ während der Pandemie auf Anraten von Chefepidemiologe Anders Tegnell fast alles offen. Jetzt zeigt sich: Die Übersterblichkeit lag unter der Resteuropas – die Gründe dafür sind umstritten
Der ehemalige Staatsepidemiologe Anders Tegnell, der Schwedens Weg durch die Pandemie bestimmte, ist derzeit ein gefragter wie gefeierter Interviewpartner.
Der Grund: Eine Erhebung des schwedischen Amtes für Statistik, wonach das Land in den Corona-Jahren 2020 bis 2022 eine Übersterblichkeit von nur 4,4 Prozent verzeichnet hat – und damit die niedrigste in ganz Europa. In Bulgarien, dem traurigen Spitzenreiter, starben 19,8 Prozent mehr Menschen während der Pandemie als im Schnitt der drei vorangegangenen Jahre; in Deutschland 8,6 Prozent, in Österreich sogar 9,8 Prozent.
War der „schwedische Weg“ also tatsächlich der richtige, wie viele Medien jetzt titeln? Hatte der 66-jährige Tegnell, der jetzt wieder mit seinen verstrubbelten Haaren von den Titelblättern lacht, doch recht?
APA/AFP/TT News Agency/JESSICA GOW
Kaum Einschränkungen
„Das Wort Revanche mag ich nicht“, sagt er in einem der Interviews. Dennoch tue ihm die Rehabilitierung gut, die Kritik an ihm sei „überdreht“ gewesen. Der Mediziner war Architekt des schwedischen Sonderwegs, er vermied einen Lockdown und überzeugte die damalige sozialdemokratische Regierung, das öffentliche Leben mit geringen Einschränkungen laufen zu lassen. Hinzu kam seine Idee von der „Herdenimmunität“, seine lange gepflegte Abneigung gegen Masken, die die Menschen in Schweden wie international in Fans und Kritiker teilte – eine Zeit lang brauchte er sogar Polizeischutz.
Ob Schweden tatsächlich alles besser gemacht hat, ist aber nicht eindeutig zu sagen. Die Zahl der Todesfälle ist international schwer vergleichbar, weil jedes Land anders definiert hat, wann jemand als an oder mit Corona verstorben gilt. Deshalb hat Schweden mit seinen zehn Millionen Einwohnern in Vergleich etwa deutlich mehr Corona-Tote zu beklagen als seine halb so großen Nachbarstaaten, wo strikte Lockdowns herrschten – in Schweden waren es 24.000 Menschen, in Dänemark und Finnland 8.000, in Norwegen nur 5.000.
KURIER/Pilar Ortega
In puncto Übersterblichkeit, für Experten die bessere Vergleichsgröße, liegt das Land nun aber weitaus besser. Sie weist aus, wie viele Menschen mehr als in anderen Jahren verstorben sind. Dass es in Schweden weniger als im Rest Europas waren, ist aber auch nicht nur mit Tegnells Sonderweg zu erklären: Die schwedische Politik, die Kinder sowie die Volkswirtschaft geschont hat und dabei viele alte Menschen geopfert hat, arbeitete nur mit Empfehlungen anstatt Restriktionen, Masken wurden nur zögerlich angeraten.
Dazu kommt aber die andere Siedlungsstruktur: Das Land ist bis auf die drei großen Ballungsräume Stockholm, Göteborg und Malmö dünn besiedelt, und Familien leben gerade am Land nicht auf so engem Raum wie etwa in Südeuropa, wo drei oder mehr Generationen unter einem Dach wohnen.
Auch Faktoren wie die Altersstruktur und der Standard der Gesundheitsversorgung spielen eine Rolle. Bulgarien, wo die höchste Übersterblichkeit registriert wurde, hat europaweit das höchste Durchschnittsalter – die Schweden sind im Schnitt sieben Jahre jünger. Dazu kommt, dass in manchen anderen Ländern die Übersterblichkeit auch durch andere Faktoren nach oben getrieben wurde. In Deutschland und Österreich etwa gab es 2022 Hitze- und Grippewellen.
In puncto Übersterblichkeit, für Experten die bessere Vergleichsgröße, liegt das Land nun aber weitaus besser. Sie weist aus, wie viele Menschen mehr als in anderen Jahren verstorben sind. Dass es in Schweden weniger als im Rest Europas waren, ist aber auch nicht nur mit Tegnells Sonderweg zu erklären: Die schwedische Politik, die Kinder sowie die Volkswirtschaft geschont hat und dabei viele alte Menschen geopfert hat, arbeitete nur mit Empfehlungen anstatt Restriktionen, Masken wurden nur zögerlich angeraten.
Dazu kommt aber die andere Siedlungsstruktur: Das Land ist bis auf die drei großen Ballungsräume Stockholm, Göteborg und Malmö dünn besiedelt, und Familien leben gerade am Land nicht auf so engem Raum wie etwa in Südeuropa, wo drei oder mehr Generationen unter einem Dach wohnen.
Auch Faktoren wie die Altersstruktur und der Standard der Gesundheitsversorgung spielen eine Rolle. Bulgarien, wo die höchste Übersterblichkeit registriert wurde, hat europaweit das höchste Durchschnittsalter – die Schweden sind im Schnitt sieben Jahre jünger. Dazu kommt, dass in manchen anderen Ländern die Übersterblichkeit auch durch andere Faktoren nach oben getrieben wurde. In Deutschland und Österreich etwa gab es 2022 Hitze- und Grippewellen.
Bessere Wirtschaftsdaten
Wirtschaftlich ist Schweden jedenfalls besser durch die Pandemie gekommen als viele andere Staaten Europas. 2020 sank das Bruttoinlandsprodukt des Landes um lediglich 2,2 Prozent, während das österreichische um 6,6 Prozent nachgab. Auch das Wachstum 2021 war mit 5,1 Prozent größer als in Österreich (4,5 Prozent).
Alles eitel Wonne ist im Königreich dennoch nicht. Die Corona-Kommission kam kürzlich zum Schluss, die Regierung habe zu sehr auf Tegnell gehört, es müsse bei künftigen Pandemien ein unabhängiges Krisenmanagement geben. Und um Tegnell selbst gibt es eine Posse: Er hatte seinen Posten als Chefepidemiologe abgegeben, weil er mit einem WHO-Posten gerechnet hatte. Allein: Der Job existierte nicht – Tegnell ist daher weiter in Stockholm, jetzt aber nur mehr als Senior-Berater.