Das noch bis 15. August in Budapest stattfindende Musikfestival ist Ort der Vielfalt, Toleranz und des Miteinanders. In Ungarn ist das mittlerweile alles andere als selbstverständlich.
In den Straßen von Budapest wimmelt es nur so von jungen Menschen. Die Bars, Cafés und hippen Frühstückslokale im Zentrum der Stadt sind ausgelastet, die für Wenigverdiener leistbaren Unterkünfte ausgebucht, ein Platz in einem Hostel seit Wochen nicht mehr zu bekommen – außer man will in einem Schlafsaal mit zwölf betrunkenen Briten schlafen. Nein, will man nicht. Dann lieber irgendwo privat Couchsurfen.
Die Nächte in der ungarischen Metropole sind lang und laut, was an den zahlreichen Party-Touristen liegt, die massenweise aus dem Ausland anreisen, um sich in der Stadt bei Bierpreisen von 2,50 Euro (fürs Krügerl) stets ins Delirium, aber nie in den Privatkonkurs zu trinken.
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Regenbogen
Dazu gesellen sich aktuell noch Tausende, die mit überladenen Backpacker-Rucksack in Flip-Flops durch die Gassen des jüdischen Viertels schlapfen: Sie sind zum Glück aber nur auf Durchreise, am Weg zur „Insel der Freiheit“, wo seit Donnerstag das Sziget, eines der größten europäischen Musikfestivals, abgehalten wird. Dorthin werden auch jene großen regenbogenfarbenen Einkaufstaschen geschleppt, die ein Möbelhaus im Sortiment hat, um gegen Homo-, Bi- und Transphobie ein Zeichen zu setzen. Wer mit so einer Tasche in Ungarn herumläuft, wird natürlich nicht rechtlich belangt, aber dem ungarischen Misterpräsidenten Viktor Orbán gefällt das sicher nicht. Denn genau von diesem „Teufelszeug“ will er sein Land, das er als „christliches Bollwerk“ sieht, auch beschützen. Dafür verabschiedet er seit Jahren Gesetze: Die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare ist verboten. Verboten ist übrigens auch, mit Minderjährigen über Homosexualität zu sprechen. Zuletzt wurde ein weiteres umstrittenes Dekret verabschiedet, das anonyme Meldungen gegen gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern erlaubt.
Liberale Bollwerke gegen diesen Orbánismus sind die Stadt Budapest mit ihrem tapfer kämpfenden Bürgermeister Gergely Karácsony und das seit 1993 ausgetragene Sziget-Festival. „Wir haben uns von Anfang an für die Menschenrechte und auch für die Rechte der LGBTQ-Gemeinschaft eingesetzt. Wir verspüren aber keinen direkten Druck vonseiten der Politik. Wir erhalten aber auch keine staatliche Unterstützung. Das bedeutet, dass die Durchführung des Festivals völlig unabhängig von der Politik ist“, sagt Veranstalter Tamás Kádár.
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Liebe kann man gar nicht verbieten
Noch bis 15. August werden sich internationale Stars, Lokalgrößen aus fernen Ländern wie Venezuela, Mexiko und Korea sowie Newcomer aus Europa (und natürlich Ungarn) ein Stelldichein geben. Rund 50.000 Festivalbesucher täglich lassen sich das nicht entgehen. Dass dieses mittlerweile zur Hälfte aus dem Ausland kommt, liegt an den gestiegen Preisen. Die meisten Ungarn können sich den Eintritt nur noch schwer leisten. Geboten bekommt man für sein Geld aber so einiges: Es gibt Musik aus allen Genres, ein Zirkuszelt, Drag-Shows, Workshops zur Rettung unseres Planeten. Alles hat hier seinen Platz, nichts schließt sich gegenseitig aus: Männer küssen Männer, Frauen küssen Frauen und Männer küssen Frauen. Das nennt man Liebe. Und so etwas kann gar nicht verboten werden.
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Florence Welch huschte barfuß auf der Bühne herum und suchte die Nähe zum Publikum. Das gibt Kraft.
Handauflegen
Die Festivalbesucher sind in bester Laune. Man entschuldigt sich lächelnd, wenn man dem anderen auf die Füße steigt, hilft sich gegenseitig mit Kaltgetränken aus. Warum hier alle so entspannt sind? Keine Ahnung. Vielleicht liegt es am weitläufigen Festivalgelände, an den beeindruckend sauberen WCs, an der hervorragenden Infrastruktur (es gibt sogar einen Supermarkt, ein Gesundheitszentrum). Auch die rund 50 angeboten Bühnen sind liebevoll dekoriert. Im Global Village kann man sich etwa eine Wasserpfeife durch die Lunge ziehen, auf orientalischen Liegen abhängen und Menschen dabei zusehen, wie sie zu Cumbia-Klängen der am Donnerstag großartig aufspielenden Band Son Rompe Pera die Hüften kreisen. Artverwandtes lieferten Los Bitchos aus UK mit ihrem groovenden Retro-Latin-Surf-Sound. Die Foals waren hingegen souverän unauffällig und bei Florence + The Machine gab es den gewohnten Bombast samt Gruppenkuscheln mit dem Publikum und Florences Segen mittels Handauflegung.
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Die Bassistin von Los Bitchos: Josefine Jonsson
INFOS: Das Sziget-Festival findet seit 1993 auf einer Donauinsel in Budapest statt. Die heurige Ausgabe läuft seit Donnerstag und geht noch bis Dienstag (15. August). Dabei werden auf rund 50 Bühnen zirka 1.000 Acts auftreten – darunter Lorde, Macklemore, Mumford & Sons, Sleaford Mods, M83, Moderat, David Guetta, girl in red und Billie Eilish.
Es gibt für einige Tage (Samstag und Dienstag sind laut Veranstalter bereits ausverkauft) noch Restkarten.
Mehr Infos zu den möglichen Tickets und der Anreise finden Sie unter szigetfestival.com