Tess Gunty: Mystik im Gemeindebau

Tess Guntys fabelhaftes Debüt „Kaninchenstall“

Das überschwängliche Lob von Kollegen, der supereuphorische Satz aus der Rezension (gedruckt, noch bevor das Buch erschienen ist), sprich das, was bei Büchern so im Klappentext steht, ist natürlich selbst Fiktion, so glaubwürdig wie das Einstiegsangebot eines Gebrauchtwagenhändlers. Manchmal aber passt’s doch. So steht in der englischsprachigen Ausgabe von „Kaninchenstall“, dass Autorin Tess Gunty auf jeder Seite einen Satz formulierte, den man sich am liebsten unterstreichen, merken, zitieren würde.

Es stimmt! Das Debüt der lyrikgeprägten Amerikanerin, 2022 mit dem National Book Award ausgezeichnet und nun auf Deutsch erschienen, ist eine wirklich beglückende Lesefreude.

Auch, weil das Figurenpersonal, das sie in einen Sozialbau in einer abgewirtschafteten, ehemals reichen US-Kleinstadt hineinsetzt, so wunderbar weltentrückt und dadurch umso realer ist.

Cover

Tess Gunty:
„Kaninchenstall“
Kiepenheuer & Witsch.  
416 Seiten.
26,50 Euro

Die 18-jährige Blandine, die eigentlich ganz anders heißt (warum sie diesen Namen ablegte, wird zugleich klug wie beklemmend beschrieben), ist fasziniert von weltentrückten Mystikerinnen wie Hildegard von Bingen; sie will das umgebende Tal vor einem etwas doofen Revitalisierungsplan (man will Start-ups anlocken, und wer will das nicht) retten.

Die Buben aus ihrer WG opfern Kleintiere für sie (und für Likes), der Sohn eines Filmstars schmiert sich mit Leuchtfarbe ein, um spätnachts Kontrahenten zu erschrecken, und Gunty erzählt auch rundherum davon, was es heißt, heute Mensch zu sein, nachdem alle anderen dieses Menschsein schon durchgespielt haben. Das ist erstaunlich hellsichtig und witzig und traurig, was will man mehr. 

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