Die Wienerin – derzeit bei „Die letzten Tage der Menschheit“ am Semmering – wusste schon als Kind, dass sie Schauspielerin werden wollte. (Von Susanne Zobl).
Die Schauspielerin Jo Bertl ist die Schalek in Paulus Mankers Produktion von Karl Kraus’ Weltendrama „Die letzten Tage der Menschheit“ im Südbahnhotel am Semmering. Mit dem KURIER sprach die Wienerin über ihre Berufswahl und warum klassisches Theater wichtig ist.
KURIER: Alice Schalek, Ihre Figur in „Die letzten Tage der Menschheit“, fragt die Soldaten an der Front, was diese empfinden. Diese Frage richte ich jetzt an Sie: Was empfinden Sie, wenn Sie diese Kriegsreporterin darstellen?
Jo Bertl: Zunächst macht es Freude, einen Charakter zu spielen, der so extrem ist, weil man dadurch sehr intensiv in Emotionen gehen kann, aber zugleich es ist auch entsetzlich, diese Kriegsgeilheit darzustellen. Man fragt sich zuweilen, was sage ich da eigentlich? Aber dann erkennt man, dass genau das wichtig ist. Denn dadurch kann man zeigen, wie krank diese Kriegsbegeisterung ist. Das ist auch ein Sinnbild unserer Gesellschaft. Das Schöne an dieser Figur ist aber, dass sie selbst eine Entwicklung durchmacht, und sie erkennt, dass ihre Haltung falsch ist.
Empfinden Sie Ihre Rolle durch den Krieg in der Ukraine anders?
Ich habe mich zuerst gefragt, ob es in diesen Zeiten nicht geschmacklos ist, das zu spielen, aber dann habe ich erkannt, dass es dadurch noch wichtiger geworden ist, weil es so aktuell ist. Man sieht, dass sich in der Welt nicht viel geändert hat.
Wie ist die Arbeit mit Paulus Manker, dem der Ruf eines Berserkers am Theater vorauseilt?
Sehr spannend. Ich habe extrem viel gelernt. Zu mir war Paulus Manker immer sehr fair. Es ist schön, dass er den Leuten sehr viel Freiheit gibt und uns sehr viel probieren lässt. Er lotst uns, aber wir dürfen unsere Rollen selbst entwickeln. Ursprünglich hatte ich für die Alma vorgesprochen, aber als Manker mich gesehen hatte, sagte er: „Du bist die Schalek.“ Ich hatte dann zu Beginn etwas Stress, weil in den Jahren zuvor eine andere Schauspielerin die Schalek dargestellt hatte. Aber ich wollte mich unbedingt auf diese Herausforderung einlassen. Ich lerne sehr viel bei Manker. Ich glaube, diese Form von Theater werde ich nicht wieder erleben.
Wie kamen Sie auf den Schauspiel-Beruf?
Meine Mutter ging mit mir schon in meiner frühen Kindheit ins Theater. Ich wusste schon als Sechsjährige, dass ich Schauspielerin werden will, und begann, mit sieben Jahren im Wiener Kindertheater zu spielen. Dort blieb ich zehn Jahre. Das war eine sehr schöne Zeit. Da war mir klar, dass es für mich nur diesen Beruf gibt.
Wohin soll Sie Ihr Weg als Schauspielerin führen?
Ich bin offen für alles. Im Moment bin ich froh, frei zu arbeiten, weil man verschiedene Projekte annehmen kann, was nicht möglich wäre, wenn man fest in einem Ensemble ist. Mein Traum ist, ein eigenes Theaterkollektiv zu gründen, damit man die Stücke, die man spielen will, selbst auswählen kann und nicht erst darauf warten muss, bis man für bestimmte Rollen engagiert wird.
Haben Sie auch Ambitionen als Regisseurin?
Durchaus, aber auch die Dramaturgie interessiert mich, denn ich liebe es, mit Texten zu arbeiten.
Heißt das, dass Sie Stücke umschreiben wollen? Dekonstruktion ist heute der Trend am Theater.
Das nervt mich. Ich halte klassisches Theater für sehr wichtig. Dieses ständige „Wir müssen alles anders machen“ geht auf Kosten der Stücke. Etwas nur mit billigen Mitteln zu verändern, ist unfair gegenüber dem Autor und dem Stück. Deshalb bin ich so gern bei Manker, denn hier muss man versuchen, Anwältin oder Anwalt der Figur zu sein.
Haben Sie als freie Schauspielerin denn keine Existenzängste?
Wie dieses freie Leben ist, habe ich schon als Kind bei meinen Vater gesehen. Er ist Musiker, Gitarrist und Komponist. Ich habe Vertrauen, dass man sich selbst erhalten kann und mit der Schauspielkunst immer irgendwo etwas finden wird.