Büchner-Preisträgerin Terézia Mora hat einen Pageturner über eine Gewaltbeziehung geschrieben. Nebenbei brät sie der Akademikerszene eins über
Ein halbes Frauenleben unter dem Brennglas. Erschütternd. Komisch. Brillant. Terézia Mora ist für ihren Roman „Muna oder die Hälfte des Lebens“ für mehrere Buchpreise nominiert worden. Mehr als nachvollziehbar. Ihre Protagonistin Muna, zu Beginn ein Teenager, erstürmt von den ersten Zeilen an einen Platz im Leserherz. Ungestüm, stark, klug und schön ist dieses Mädchen. Dass sie an einer gestörten Beziehung zu einem gewalttätigen Mann später beinahe zugrunde geht, nimmt einen umso mehr mit.
Die Geschichte setzt in einer ostdeutschen Kleinstadt knapp vor Mauerfall ein. Muna Appelius, Tochter einer Schauspielerin, die ihrem verstorbenen Mann nachtrauert, aber schon vor dessen Tod zur Alkoholikerin geworden ist, ist grade 18. Die Mutter hat sich wieder einmal ins Koma gesoffen. Wird sie sterben? In dem Fall müsste man ihr dankbar sein, dass sie wenigstens gewartet hat, bis die Tochter volljährig ist.
Sie hält durch, wird sich durchwursteln und ihrer Tochter später zu Hilfe eilen – wenn diese es zulässt. Denn das begabte Kind wird Mutter, Freunde und Karriere beinah über Bord werfen, weil es in eine hoffnungslose und immer gewalttätigere Beziehung verstrickt ist. Sich die Schneid abkaufen lässt von einem eifersüchtigen, mittelmäßig erfolgreichen Künstler und Uni-Dozenten.
Luchterhand
Terézia Mora :
„Muna oder Die Hälfte des Lebens“
Luchterhand.
448 Seiten.
26,50 Euro
KURIER-Wertung: 5 von 5 Sternen
Zunächst aber ist Muna eine selbstbewusste Maturantin – daheim wurde zwar viel getrunken, aber auch gelesen. Sie weiß, was Theater ist, heuert als Volontärin bei einem Kunstmagazin an, und geht, sobald die Grenzen offen sind, in den Westen. Studiert Geisteswissenschaften in England und Wien, jobbt als Babysitterin, kellnert in schmuddeligen Bars und findet über kleine Uni-Projekte den Weg in die akademische Welt. Unerschütterlich, stur und niemals wehleidig. Wäre da nicht dieser Mann, der sich wie ein schwarzer Schatten über ihr Leben legt und es beinahe auslöscht.
Die Icherzählerin entschuldigt ihn immer wieder, will nicht sehen, was alle sehen. Wie viele von Gewalt betroffene Frauen sucht sie die Schuld für seine Misshandlungen bei sich. Durchgestrichene Wörter zeigen, wie sehr Muna mit sich ringt.
Allerdings ist dies nicht nur die Geschichte einer Gewaltbeziehung. Muna betrachtet sich und die Welt mit viel Witz („Ich sehe aus wie das Idealbild eines deutschen Mädels, gemalt von einem mäßig talentierten Nazi“), auch das macht diesen emotional anspruchsvollen Roman zum Pageturner. „Noch nicht mal rülpsen darf man, wenn man einigermaßen begehrenswert bleiben möchte“, glaubt sie mit 18. Der flapsige Ton bleibt ihr ein Leben lang, das Selbstbewusstsein kommt ihr nach und nach abhanden.
Terézia Mora ist eine grandiose Beobachterin. Sie zieht die Akademikerszene durch den Kakao, kennt auch Wien und die hiesige Welt der Wissenschaft anscheinend gut. Ihre Beschreibungen von Land und Leuten (sie zitiert Wienerisch falsch, aber lustig) gehören zu den komischen Highlights dieses aufwühlenden Romans.